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Waels Geschichte

Wael Abdul-Hamid

“Oft hat eine stilles Gesicht Stimme und Worte“ – Ovid, Römischer Dichter (43 BC – AD 17)

Es gibt eine Redensart, die von Müttern gern benutzt wird, wenn sie ihre Kinder daran hindern wollen, absurde, ungezogene und anderweitig schlechte Gesichter zu ziehen: „Pass auf! Wenn der Wind dreht, bleibt dein Gesicht für immer so“. Wenn ich dies als Teenager wirklich geglaubt hätte, hätte ich sicherlich aufgepasst, weniger perplex an einem der typisch windigen Tag in der arabische Wüste drein zu schauen, nachdem ich Zeuge von etwas wurde, das mein Leben für immer verändern sollte.

Ich war mit meinen Klassenkameraden auf einer geographischen Exkursion; ein Tagesausflug der Schule in Kuwait. Nach der Hälfte des Tages wurden wir zu einem Beduinencamp gebracht, wo ein Zelt für uns errichtet worden war, so dass wir uns im Schatten ausruhen konnten. Ein Zweck unserer Exkursion war, dass wir Stadtkinder etwas über das Arabische Kulturerbe der Nomaden lernen sollten, und so wurden wir dazu eingeladen, uns frei im Camp zu bewegen, nachdem wir uns ausgeruht und einen Kaffee nach Art der beduinischen Gastfreundlichkeit bekommen hatten.

Ich ging mit zwei Kameraden los, Abdul-Aal und Adal. Am Ende des Camps kamen wir mit einem älteren Stammesmitglied ins Gespräch. Bald nahm unsere Unterhaltung eine seltsame Wendung. Es ist schon lange her, aber ich erinnere mich noch gut, weil ich es anschließend in meinen Gedanken immer wieder durchgegangen bin.

„Mein Sohn, du magst dein Essen, nicht wahr?“, sagte der Alte zu Abdul-Aal mit einem Augenzwinkern in meine Richtung. „Das tut er, das tut er!“, lachte Adal entzückt. „aber woher weißt du das?“ Abdul-Aal war nicht besonders übergewichtig und es waren auch keine Speisen in der Nähe. „Auf die gleiche Art und Weise“, safte der alte Mann sanft, „wie ich weiß, dass deine Stiefmutter nicht sehr freundlich zu dir ist, was weniger ist als das, was du verdienst, da du eine gütige und anständige Person bist.“ Adals Augen weiteten sich in Erstaunen. Ich hatte nichts über die Art, wie seine Stiefmutter ihn behandelte, gewusst, aber ich wusste, dass er aus einem zerbrochenen Haushalt stammte, was zu der Zeit in der arabischen Welt sehr selten war, so dass das Wissen des Stammesmitglieds darüber überraschend war, gelinde gesagt.

„Wie kommt es?“, fragte ich. „Ich kann Gesichter lesen“. Eine lange Gedankenpause, dann fragte ich: „Nun, wirst du meines auch lesen?“ „Ok. Du wirst wahrscheinlich akademisch gut sein, und das ist gut für dich, aber du bist ein wenig eingebildet, also pass auf, dass du nicht selbstgefällig wirst.“ Und so kam es, dass ich aus dem Camp mit einem Ausdruck herausgekommen sein muss, den niemand behalten möchte, wenn der Wind sich dreht. Perplex? Verblüfft! Wie er dies geschafft hatte, entzog sich meinem Verständnis, aber alles, was er gesagt hatte, war so wahr. Ein Sandsturm kam auf, und unter solchen Bedingungen kann die Wüste beeindruckend mystisch werden. Das sich verändernde Licht und die sich verändernden Töne und Strukturen inmitten des fühlbar Unermesslichen können ein Gefühl des Übernatürlichen herbeizaubern. Doch so beeindruckend diese Naturphänomene auch waren, so war ich mehr damit beschäftigt, mich zu vergewissern, dass wir soeben Zeugen von etwas waren, was einem Zaubertrick näher kam als die authentische Wüstenmagie.

Ich besaß einen sehr wissenschaftlichen Verstand und war von haus aus ein Skeptiker. Ich versuchte, mir zu sagen, dass es dieselbe Qualität hatte wie die Horoskope, die man in Zeitungen findet, wo eine Vielfalt von Wahrheiten aus der einen oder anderen Perspektive gelten können, wenn man ihnen dies zuschreiben möchte. Doch ich wusste, dass dies nicht für all die spezifischen Dingen galt, die er gesagt hatte. In der kurzen Diskussion, die folgte, taten meine Freude alles als Irrsinn eines alten Narren ab, scheinbar irritiert von seiner Rechthaberei und vielleicht ein wenig verlegen durch seine Aussagen. Ich für meinen Teil, weil ich nicht in der Lage war, alles zu erklären, dachte immer noch darüber nach, als der Bus auf den Schulparkplatz fuhr…

Auf meinem Weg nach Hause wiederholte ich gegenüber meiner Mutter und meinem Vater, was in der Wüste geschehen war, aber anstatt des üblichen ‚nimm es nicht so erst’, war  – zu meiner Überraschung – mein Vater bestürzt und sagte, dass er dachte, dass dies eines Tages passieren würde. Mein Vater erklärte, dass mein Großvater Scheich Ali Haider ein sehr bekannter und respektierter Sufi-Anführer gewesen war, so wie dessen Vater und Generationen zuvor, und dass sich meine Blutslinie zurückverfolgen lässt bis zu dem Propheten Mohammed, Friede sei mit ihm. Ich weiß, dass es viele Ansprüche darauf gibt, aber mein Großvater war der letzte bekannte Sufi-Anführer, der die Schlüssel der Kabba in Makka besaß. Mein Vater erzählte mir auch, dass mein Großvater mir meinen Namen bei der Geburt gegeben hatte und dass ich die Familientradition tragen würde – das Lernen und Lehren von Ferasa, was der Hauptbestandteil seiner Sufi-Tradition war. Da mein Vater wirklich nicht an der Sufi-Tradition interessiert war und auch nicht damit gerechnet hatte, dass mein Interesse an der Familientradition erwachen würde, konnte ich verstehen, warum er so geschockt über meine Begegnung mit dem Beduinen in der Wüste war und dass die Vorhersage meines Großvaters sich bewahrheitet hatte. Von da an hat mein Vater alles, war ihm von meinem Großvater beigebracht wurde, an mich weiter gegeben – aber ich wusste, dass es noch mehr gab!

… und so begann eine lebenslange Faszination an der Sprache des menschlichen Gesichts. Mein Ermittlungsstreben führte mich zu den Büchereien Ägyptens, auf der Suche nach alten Dokumenten, um den Islam und alle anderen großen Religionen zu studieren, zur Psychologie und Soziologie, zur Geschichte der westlichen Gesichtslesekunst, zu zeitgenössischen westlichen Wissenschaften und in viele Beduinencamps. Mit diesen Mitteln entwickelte ich meine Fähigkeit, Gesichter zu lesen, inmitten von 30 Jahren im internationalen Business, bis ich das konnte, was die Beduinen konnten, und mehr. Aus muslimischen Familienverhältnissen kommend habe ich einen Kommentar des Propheten Mohammed, Friede sei mit ihm, gelesen: „Erkenne das Ferasa der Gläubigen, da sie mit dem Licht Gottes sehen.“ Nachdem ich den Islam und seine Führer studiert hatte, war ich erstaunt, dass eine Zivilisation, die so wissenschaftlich war und so viele Erfindungen in der Welt hervorgerufen hatte, Ferasa als integralen Teil ihrer Philosophie benutzt und es keiner religiösen Zensur unterziehen sollte. Für mich bedeutet dies, dass Ferasa ohne Bedenken an die eigene religiöse Herkunft erlernt und gelehrt werden kann, da das Hauptinteresse von Ferasa die Menschheit ist und mit keinem Glauben interferiert.

Um die Wahrheit zu sagen, jeder kann Gesichter bis zu einem gewissen Ausmaß erlernen. Ich glaube nicht, dass man lange nachdenken muss, um sich zu erinnern, wann man instinktiv auf das Gesicht eines Menschen reagiert hat.
Vielleicht hattest du das Gefühl, dass es zu jemandem gehört, dem du vertrauen kannst, oder es ermöglichte dir sogar einen größeren Einblick. Mit aller Wahrscheinlichkeit bist du jemand, der behutsam damit umgeht, der einem allgemeinen Eindruck Beachtung schenkt ohne dabei zu kategorisch in deinen Reaktionen zu sein. Aber du hast es dennoch getan.

Ich begann zuerst, so viele Beduinencamps wie möglich zu besuchen, aber musste zu meiner Enttäuschung feststellen, dass ihre Fähigkeit, Gesichter zu lesen, eindrücklicher war als ihre Fähigkeit, es zu erklären. Wann immer ich um eine theoretische Erklärung bat, sagten sie bloß „So ist es eben.“

Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht verstehen, wie Ferasa für sie eine Sprachfähigkeit sein konnte, die ein Kind lange bevor es zur Schule geht zu sprechen erlernt, und zu lesen erlernt, geschweige denn die Grammatik zu verstehen, so dass ich beinah begann zu glauben, dass sie mich absichtlich von einem bewachten Geheimnis ausschließen würden. Dann, als letzten Ausweg, nahm ich den Alten der Tagesexkursion beim Wort und wand mich den Büchern zu. Nicht meinen Schulbüchern, sondern jedem Buch, das über Ferasa Aufschluss bringen konnte.

Damals fand ich es recht schwierig, zu glauben, dass die Beduinen so gut im Gesichtslesen sein konnten ohne zu verstehen wie, aber ein wissenschaftlicher Freund führte mich nach Kairo, das relativ nahe von der syrischen Universität lag, an der ich maschinenbau studierte. Die Büchereien in Kairo verfügten über einige interessante Dokumente, die Ferasa von einem philosophischen Standpunkt aus diskutierten – einige davon waren seit dem 10. -11. Jahrhundert, als Arabien das Zentrum der Welt bezüglich des Lernens war und seine Büchereien die Bewahrer klassischen wissenschaftlichen Wissens, so gut wie unberührt geblieben und hatten den Staub der Jahrhunderte angesammelt. Viele dieser Diskussionen drehten sich um den Enthusiasmus der Islamischen Religion für das Thema, da es viele indirekte Erwähnungen im Koran gibt.

Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, wie sie ursprünglich in ihr System gekommen sind, da die Pioniere der Methode der Beduinen schon lange gegangen sind. Es kann sein, dass sie allein auf Beobachtungen angewiesen waren, über viele Generationen. Immerhin waren die Bedingungen zur Beobachtung damals viel besser als heute, da das Leben in der Wüste so einfach war, was bedeutete dass die Grundprinzipien der Verbindung zwischen Gesicht und Persönlichkeit einfacher zu beobachten waren. Oder es gab einen oder mehrere Beduinen, die deduktive Schlussfolgerungen benutz haben, um mehr zu beherrschen als ein Mensch innerhalb eines Lebens allein durch sorgfältige Beobachtung schafft.

Die letztere Theorie stimmt mit meiner eigenen Erfahrung überein. Ich war nicht in der Lage, irgendeine einzelne Beobachtung zu machen, die zu dem Verständnis führen könnte, welches die Pioniere der Beduinen irgendwie erzielt haben müssen, wenn ihre zerstreute Hinterlassenschaft gut genug funktioniert, um ein System darin zu finden. Jedoch ich habe dies System gefunden. Daher glaube ich, dass eine Kombination einiger Schlüsselbeobachtungen die Pioniere zu verschiedenen Parallelen Schritten der Logik geführt haben, und dass die Kombination aller Schritte mit den Beobachtungen zu einem „Eureka“-Moment führten, in dem das gesamte System geknackt war. Was ich sagen kann, ist, dass das Sammeln der zerstreuten Informationen einer entschwindenden Generation zeitgenössischer Beduinen mir half, einen Schlüssel zu einem System zu finden, das – wer weiß – ich allein herausgefunden haben mag, wenn ich in einem anderen Leben ganz von vorn angefangen hätte.

Ungefähr vor 15 Jahren fing ich an, eine Leidenschaft zu verspüren, andere Menschen die bereichernde Perspektive zu unterrichten, die Gesichtslesen heutzutage bietet, und so unterrichtete ich es, wann immer meine achterbahnartige Karriere als Unternehmer es mir erlaubte.

Obwohl ich es mag, wenn meine Studenten Spaß daran haben, kann Ferasa weit mehr befriedigen als bloße Neugier. Es gibt unzählige praktische Anwendungen für fortgeschrittenes Gesichtslesen (individuell, professionell, gesellschaftlich), aber ich ziehe es vor, diese zusammen mit meiner Philosophie und den relevanten ethischen Gesichtspunkten zu diskutieren. Persönlich bin ich mit den vielen subtilen kraftvollen Nutzen beschäftigt, die Ferasa sowohl Individuen wie auch der Gesellschaft bietet – ich habe es benutzt, um hunderten von Menschen eine Perspektive in ihrem persönlichen und beruflichen Leben zu verschaffen, da die fortgeschrittene Fähigkeit des Gesichtslesens tiefe Einblicke in menschliche Beziehungen, menschliche Gesellschaft und sogar menschliche Zustände gibt. Richtig verstanden befähigt es zur Selbsterkenntnis, mit der man das eigene Potential und Selbstvertrauen erreichen kann, sowie zur positiven Wertschätzung gegenüber der Vielfalt, die in allen anderen zu finden ist, zu Empathie, verständnis und einer Klarheit an Bewusstsein, welches schlicht nicht in Worten wiederzugeben ist.

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